von: K’ura Neuland
Der zweite Lockdown, wieder sitzen wir den Großteil unserer Zeit zu Hause. Der zweite Lockdown, bei dem wir als passiv Zuschauende an der Seitenlinie stehen und zusehen, wie unsere Freiheiten weiter beschnitten werden, die Job-Aussichten schlechter und unsicherer werden, wieder zu Hause eingesperrt – manche womöglich mit gewalttätigen Partner*innen… Wir sind ausgeliefert, wir stehen all den Problemen, die uns umgeben, alleine gegenüber. Wieder sind wir mit unseren Ängsten alleine.
Die Corona-Pandemie sorgt wie keine andere Krise davor dafür, dass wir uns noch weiter von einander entfernen, unsere Isolation noch größer wird. Wo führt das hin? Wie dramatisch kann der Kampf ums alltägliche Überleben noch werden?
Wir leben um zu arbeiten und um das ertragen zu können, tauchen wir am Feierabend ab in virtuelle Welten, in die neuste Serie bei Netflix oder eher klassisch das Feierabendbier. Nicht als wäre das etwas Neues oder etwas was es zu verurteilen gilt, immerhin müssen wir alle regelmäßig abschalten, um das Leben in diesem System zu ertragen.
Die Frage ist eher: Was wäre, wenn wir nicht so alleine wären? Was wäre, wenn wir unsere Nachbar*innen kennen würden, und zwar richtig gut kennen würden? Was wäre, wenn wir unsere Arbeitskolleg*innen kennen würden, und zwar richtig gut kennen würden? Was wäre eigentlich, wenn die Menschen, denen wir tagtäglich in unserem Alltag immer wieder aufs Neue begegnen, für uns nicht nur irgendwelche Leute wären, mit denen wir mal über’s Wetter plaudern würden, sondern wie Geschwister für uns wären?
Wenn wir uns kennen würden, uns wirklich kennen würden, dann würden wir sehen, dass wir mit unseren Problemen nicht allein dastehen. Na klar, wir wissen ja, dass auch Millionen Andere von HartzIV leben und was es bedeutet, von HartzIV zu leben. Klar, wir wissen doch, wie viele andere Student*innen sich mit Minijobs irgendwie über Wasser halten, weil das Portemonnaie der Alten eben nicht so groß ist. Und natürlich wissen wir, dass wir mit einer nicht-weißen Hautfarbe schlechtere Chancen haben, eine Wohnung oder eine Arbeitsstelle zu bekommen. Wenn wir wissen, dass wir viele sind, wieso ändern wir dann nicht, was uns alle tagtäglich klein hält und unterdrückt?
Zuallererst einmal deswegen, weil wir uns nicht wirklich kennen, weil wir vielleicht abstrakt wissen, dass auch Andere unter den gleichen Zuständen leiden wie wir, aber wirklich verstehen, was das bedeutet und was für Möglichkeiten in diesem einfachen Fakt liegen, das fällt uns schwer zu sehen. Wenn wir uns kennen würden, wirklich kennen würden, dann würden wir auch häufiger für einander einstehen.
Wenn wir für einander einstehen, dann können wir daraus eine Tugend machen. Eine Tugend der Unterdrückten und Ausgebeuteten, der Abgeurteilten, der Gemobbten und der vormals Einsamen. Eine Tugend der Macht von unten, ein Klassenbewusstsein entwickeln, das uns erkennen lässt, dass uns keine unterschiedlichen Sprachen, Aussehen, Bildungsstand oder anderes trennt, sondern eine Dynamik des Jede*r gegen Jede*n, die uns dieses System von klein auf anerzieht.
Es ist richtig, dass wir gemeinsam darauf achten müssen, verantwortungsvoll miteinander umzugehen, um die Pandemie nicht noch dramatischer werden zu lassen. Das sollte aber nicht gleichbedeutend damit sein, alles zu dulden. Zu dulden, was die Bosse mit uns in dieser Krise machen, wie die Reichen noch reicher werden, wie unsere Rechte so grundsätzlich beschnitten werden.
Grade jetzt ist so eine entscheidende Zeit, in der sich zeigt, wohin sich unsere Gesellschaft entwickeln wird. Der Überwachungsstaat wird ausgebaut, die Rechten erobern mit Massenmobilisierungen die Straßen, linke Strukturen werden angegriffen und isoliert. Das alles bei einer unfassbaren, ohrenbetäubenden Passivität von einer (radikalen) Linken, die generelle Veränderungen der Gesellschaft aufgegeben hat und nur noch ab und an auf die schlimmsten Symptome reagiert. Das alles bei einem sozialbefriedeten Land, in dem sich die Massen der Depression, der Hoffnungslosigkeit und der Obrigkeitshörigkeit hingeben.
Das alles ist eine Situation, die uns den Atem raubt und uns unsere eigene Schwäche immer wieder aufs Neue aufs Brot schmiert. Aber was hilft das? Wollen wir weiter zusehen, dass die Dinge an uns vorbei ziehen, während wir in Selbstmitleid versinken?
Nein. Wir müssen uns kennenlernen. Wir müssen kämpfen. Wir müssen uns organisieren und für uns und einen anderen Ausgang der Geschichte einstehen. Jetzt. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Wir sehen bereits was passiert, wenn eine Krise eine so unorganisierte, so voneinander isolierte, zersplitterte Gesellschaft trifft. Wir sind ausgeliefert. Das kann und darf nicht so weiter gehen und wenn Du das genauso siehst, dann ist es an der Zeit aktiv zu werden!
Aktiv im Kampf für soziale Gerechtigkeit! Aktiv, um nicht mehr ausgeliefert zu sein! Aktiv im Kampf für ein besseres Morgen für Deine Kinder!
Organisiere Dich in der Freie Arbeiter*innen Union, Gefangenengewerkschaft oder IWW, wenn Du eine Basisgewerkschaft suchst, die wirklich für Deine Rechte auf der Arbeit eintritt. Organisiere Dich in Deiner lokalen Nachbar*innenschaftsinitiative, um gegenseitige Hilfe in Zeiten von Corona zu praktizieren oder einen selbstorganisierten Park in Deiner Straße zu eröffnen. Bring Dich ein in die Organisation von Foodsharing, Umsonstläden, Kollektivbetrieben oder solidarische Landwirtschafts-Initiativen, um ein stückweit die neue Gesellschaft in dem Bestehenden aufzubauen. Misch Dich ein in die sozialen Kämpfe deiner Stadt: Fridays for Future, Black Lives Matter, Frauen*streik, oder Mieter*inneninitiativen. Unterstütze Deine lokale selbstorganisierte Geflüchteten- oder Obdachlosenhilfe. Komm zu uns oder unterstütze uns, wenn Du unsere Arbeit schätzt und bisher nur darüber nachgedacht hast, Dich zu beteiligen!
Wichtig ist vor allem, dass wir uns bewegen, in Bewegung bleiben und alle Zeiten – auch die Zeiten des Lockdowns – für den Kampf nutzen, alle nach ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten, aber gemeinsam entschlossen, mit langem Atem.
Genau Du fehlst noch! Ohne Dich sind wir zu wenig. Jetzt ist die Zeit, unsere Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen!
In diesem Sinne sollten wir uns zurück besinnen auf die vielleicht meist gesungene Hymne unserer Klasse:
„Es rettet uns kein höhres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!“