Frühling im Revier? – Was 1920 geschah und was wir heute daraus lernen können

Wir haben diesen Text mit freundlicher Unterstützung der Genoss:innen zuerst auf anarchismus.de veröffentlicht. Wir dokumentieren ihn hier erneut.

Im Frühling des Jahres 1920 kam es im Ruhrgebiet zu einem der größten Arbeiter:innenaufstände der deutsche Geschichte – die Märzrevolution. Den meisten Menschen in unserer Region ist dieses Ereignis kein Begriff. Selbst viele Linke wissen nicht, was damals auf den Straßen und Plätzen passiert ist, wo wir heute leben. Mit diesem Text wollen wir eine kurze Übersicht über die Ereignisse des Jahres 1920 und ihren historischen Kontext geben. Wir wollen erklären, warum wir es wichtig finden, an die Märzrevolution zu erinnern. Und wir wollen zeigen, was wir heute als Revolutionär:innen aus den damaligen Ereignissen lernen können.

Putsch, Aufstand, Niederschlagung

Deutschland im November 1918: Der Erste Weltkrieg, auf dessen Schlachtfeldern Millionen Soldaten den Tod fanden, geht zu Ende. Millionen deutsche Soldaten und Arbeiter:innen sind nicht länger bereit, die Entbehrungen des imperialistischen Kriegs zu ertragen. Sie sind nicht mehr bereit, das Regime zu dulden, das sie in dieses Massenmorden geführt hat. Die Republik wird ausgerufen, Kaiser Wilhelm muss abdanken. Aber die neue, sozialdemokratisch geführte Regierung will keinen radikalen Bruch mit den bisherigen Verhältnissen und lässt auf rebellierende Arbeiter:innen schießen. Die alten Eliten in Militär, Verwaltung und Wirtschaft können so auf ihren Posten bleiben. Und sie sinnen auf Revanche für das, was sie verloren haben – ihren Kaiser, die Gebiete und Kolonien, die der Versailler Vertrag dem deutschen Reich abspricht und ihre starke Armee, die auf 100.000 Mann begrenzt werden soll.

Am 13. März 1920 unternehmen in Berlin Teile der Reichswehr unter General Lüttwitz und dem preußischen Beamten Wolfgang Kapp einen Putsch, um die alte Ordnung wiederherzustellen. Den Kern der meuternden Truppen bilden Angehörige der Freikorps, reaktionärer Männerbünde ehemaliger Frontsoldaten, die noch vor der Gründung der NSDAP mit dem Hakenkreuz am Helm marschieren. Während die SPD-Regierung vor den Putschisten aus Berlin flieht, wissen die Arbeiter:innen was zu tun ist. Ein reichsweiter Generalstreik wird ausgerufen. Binnen drei Tagen sind die Putschisten am Ende und geben auf.

Im Ruhrgebiet ist der Widerstand gegen den Putsch besonders stark. Die Organisationen der Arbeiter:innenbewegung – Parteien wie SPD, USPD und KPD sowie die Gewerkschaften Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund (Vorgänger des DGB) und die anarchosyndikalistische Freie Arbeiter Union Deutschlands (Vorgängerin der FAU) – bilden „Aktionsausschüsse“, die in den Städten die lokale Macht übernehmen. Sie stützen sich auf bewaffnete Arbeiterformationen, die zur Verteidigung gegen die Putschisten gebildet werden. Diese Kampfverbände schließen sich schnell zur „Roten Ruhr Armee“ zusammen und gemeinsam gelingt es ihnen, die verhasste Reichswehr aus dem gesamten Industrierevier zu vertreiben. Die „Märzrevolution“ ist eine gemeinsame Aktion des Proletariats im Ruhrgebiet: Sozialdemokrat:innen kämpfen Schulter an Schulter mit Kommunist:innen und Anarchist:innen, zahlreichen Unorganisierten und selbst Mitgliedern der christlichen Gewerkschaften.

So groß die Einigkeit in der Abwehr der unmittelbaren Gefahr ist, über die weitergehenden Ziele des Aufstands gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen: „Verteidigung der Republik!“ rufen die einen. Ihnen geht es um die Entwaffung der am Putsch beteiligten Truppen und die Säuberung des Staatsapparats von monarchistisch gesinnten Beamten, also um eine parlamentarische Demokratie, die mehr als nur Fassade ist. „Sozialisierung!“ und „Alle Macht den Räten!“ rufen die anderen. Sie sehen die Chance gekommen zu einer viel gründlicheren Umgestaltung der Gesellschaft, zur Fortsetzung der Novemberrevolution von 1918. Die arbeitende Bevölkerung soll den Bossen die Kontrolle über die Produktionsmittel entreißen („Sozialisierung“) und sie zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse benutzen; sie soll ihre kollektive Macht durch Basisversammlungen selbstausüben („Räte“), anstatt sie an Parlamente zu delegieren. Wo sich die Gelegenheit bietet und radikale Kräfte wie die Syndikalist:innen besonders stark sind, wird bereits mit ersten Schritten zur Verwirklichung dieser Ideen begonnen.

Es soll den Aufständischen jedoch keine Zeit bleiben, ihre inneren Widersprüche zu klären. Kaum aus dem süddeutschen Exil zurück im Amt, erteilt die Regierung den vielstimmigen Rufen nach gesellschaflichen Veränderungen erneut eine klare Absage. „Ruhe und Ordnung“ sei jetzt das Gebot der Stunde. Um diese wieder herzustellen, geht die SPD-Führung, wie schon im November 1918, ein Bündnis mit dem Militär ein. Sie schreckt nicht einmal davor zurück, die Truppen, die gerade gegen sie geputscht haben, gegen jene Arbeiter:innen einzusetzen, die sie vor dem Putsch gerettet haben. Zu allererst geht es der Regierung darum, das soziale Experiment an Rhein und Ruhr zu beenden, ehe der Funke auf andere Gebiete überspringt.

Aber die Märzrevolution bleibt isoliert; der verzweifelte Aufruf: „Rettet die Ruhrarbeiter!“ verhallt ungehört. Ein wesentlicher Grund für die Passivität der übrigen Arbeiterschaft waren illusionäre Hoffnungen in ihre politischen und gewerkschaftlichen Führer:innen und deren Verhandlungen in Berlin und Bielefeld, wo ein Abkommen über die Forderungen der Bewegung ausgehandelt werden soll. So kann die Reichswehr ungehindert aus anderen Teilen Deutschlands Truppen zusammenziehen, die die Bewegung drei Wochen nach ihrer Entstehung zerschlagen und dabei furchtbar blutige Rache nahmen. Der Terror der Freikorps bietet einen Vorgeschmack auf das, was nach 1933 kommen wird.

Die Weimarer Republik, so will es die offizielle Erzählung dieses Staates, sei gescheitert, weil die demokratische Mitte von den extremen Kräften von links und rechts zerrieben worden sei. Im Gegensatz dazu zeigt uns das Schicksal der Märzrevolution, dass die politische Mitte, insbesondere die Parteispitze der SPD, schon ganz am Anfang der Weimarer Zeit im Bündnis mit der äußersten Rechten jene Kräfte blutig unterdrückte, die in den 1930er Jahren vielleicht dazu in der Lage gewesen wären, dem Aufstieg der Nazis etwas entgegenzusetzen.

Warum erinnern?

Die Ereignisse vom März 1920 im Ruhrgebiet wurden später oft verfälscht dargestellt und noch häufiger totgeschwiegen. Bis heute ist in den Schulbüchern kaum etwas über sie zu lesen. Den Mächtigen war und ist das Beispiel gewöhnlicher Menschen, die tatsächlich beginnen, ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen, stets ein Dorn im Auge gewesen.

Warum erinnern wir uns aber heute an diese Ereignisse? Der Weltlauf ist nach wie vor eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft. Endlose Kriege, Flüchtlingsbewegungen, Hunger und Elend trotz Überproduktion, Aufheizung der Erdatmosphäre, dramatisches Artensterben – die kapitalistische „Ordnung“ führt uns ihren ausbeuterischen, zerstörerischen und mörderischen Charakter tagtäglich vor Augen. Dass es genau hier, in unseren Straßen und Vierteln, vor hundert Jahren zehntausende Menschen gab, die entschlossen waren, diesem Weltlauf durch eine soziale Revolution in den Arm zu fallen, erinnert uns daran, dass diese Verhältnisse keine unabänderlichen Naturgegebenheiten sind. Wir sehen: Es könnte alles ganz anders sein. Und es hätte alles ganz anders kommen können.

Die Trauer, dass es aber nun einmal so gekommen ist wie es gekommen ist, die Trauer um all die ermordeten Arbeiter:innen, die niedergeschlagene Revolution, sollten wir in Wut auf die fortbestehende Herrschaft und ihre Verteidiger:innen verwandeln. Und in revolutionäre Motivation, den Kampf für eine freie Gesellschaft weiterzuführen. Das Beispiel der Märzrevolution zeigt, dass sie möglich ist.

Was können wir heute aus der Märzrevolution lernen?

Die Erinnerung an das was geschehen ist, sollte uns aber nicht nur motivieren. Wir sollten auch innehalten, uns die Ereignisse genau anschauen und versuchen, daraus für unseren heutigen Kampf zu lernen. Was waren die Aspekte, die einen Massenaufstand erst möglich gemacht haben? Wie konnte er sich dann organisieren? Welche Probleme gab es? Und was hat schließlich zu seiner Niederschlagung geführt? All das sind Erfahrungen, die auch für heutige soziale Bewegungen und den Kampf um die soziale Revolution wertvoll sind. Im Folgenden möchten wir einige Lehren herausstellen, die für uns zentral sind.

Veränderung kommt aus der Breite unserer Klasse.
Die Märzrevolution war nicht Produkt der schlauen Gedanken einiger politisch Überzeugter. Sie war Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit, eines revolutionären Begehrens und einer fester Entschlossenheit hunderttausender Menschen im Ruhrgebiet. Jede grundlegende Veränderung der Gesellschaft kann nur aus der Masse der Ausgebeuteten und Unterdrückten heraus erfolgen.

Wir brauchen Massenorganisationen und Massenaktion.
Nicht allein die Masse der Unzufriedenen hat die Revolution möglich gemacht. Entscheidend war, dass die Unzufriedenen über gemeinsame politische Organisationsformen – Gewerkschaften und Parteien – und kulturelle Zusammenhänge – Arbeitersportvereine, Arbeitergesangsvereine, Theatergruppen und viele mehr – verfügten, die untereinander Gemeinschaft schufen und gemeinsames Handeln ermöglichten. Denn nur durch ihr gemeinsames Handeln waren die Arbeiter:innen in der Lage, wirksam in den Lauf der Geschichte einzugreifen. Auch heute muss es unser Ziel bleiben, Massenorganisationen der Arbeiter:innenklasse in Betrieb, Stadtteil und Bildung zu schaffen. Dafür müssen wir aus dem Schema der Politzirkel und Bezugsgrüppchen ausbrechen.

Betriebliche Organisierung spielt eine zentrale Rolle.
Auch wenn andere politische und kulturelle Organisationsformen wichtig waren, kam den Gewerkschaften als unmittelbar am Arbeitsplatz ansetzende Organisationsform, eine zentrale Bedeutung zu. Zwar versuchte die Führung der reformistischen Gewerkschaften die Initiative ihrer Mitglieder zu bremsen, doch die Gewerkschaftsbasis konnte das größtenteils nicht stoppen. Ihre Entschlossenheit und Verbundenheit durch die betriebliche Organisierung sorgten für den Erfolg des Generalstreiks und aus ihren Reihen wurden auch die ersten Sozialisierungen der Betriebe (also Entmachtung der Chefs und Einsetzung einer Selbstverwaltung) initiiert. Betriebliche Organisierung – egal ob in Form von einzelnen Betriebszellen oder größeren Gewerkschaften – bleibt aufgrund ihres direkten Ansetzens im Produktionsprozess auch heute noch ein entscheidender Faktor im Aufbau von revolutionärer Gegenmacht. Ohne sie geht es nicht.

Wir brauchen strömungsübergreifende Solidarität statt Sektierertum.
Was den Generalstreik und den Aufstand stark gemacht hat, war die Einheit der Arbeiter:innenklasse – egal ob sozialdemokratisch, kommunistisch, anarchistisch oder gar christlich orientiert. Nur gemeinsam waren die Arbeiter:innen stark genug. Das soll kein Plädoyer dafür sein, sich nicht mehr zu kritisieren oder mit der Sozialdemokratie zu paktieren. Aber es sollte uns einen Denkanstoß geben, in der praktischen politischen Arbeit über verschiedene sozialistische Strömungen hinweg solidarisch zusammenzuarbeiten, anstatt sich alleine auf das Trennende zu fixieren und sich identitär jede Strömung für sich voneinander abzugrenzen.

Die Macht des Staates muss gebrochen werden.
Die Revolution im Ruhrgebiet konnte sich nur deshalb überhaupt für einige Wochen halten, weil die Arbeiter:innen nicht zögerten, sondern die Polizei und die bürgerlichen Einwohnerwehren entwaffneten. Zusammen mit der Vertreibung der Reichswehr und der Freikorps aus dem Revier wurde so die unmittelbare Macht des bürgerlichen Staates gebrochen. Der Bruch war gleichzeitig weniger vollständig als es notwendig gewesen wäre.So blieben Teile der alten Verwaltung im Amt. Und die Macht wurde nicht an Basisversammlungen übertragen, sondern fiel einfach den Aktionsausschüssen und damit lokalen Kadern der Arbeiterparteien zu (teilweise unter Hinzunahme der Syndikalist:innen). Trotz oder gerade aufgrund aller Unzulänglichkeiten der Märzrevolution können wir sehen, dass der Bruch mit der Macht des Staates als Teil des revolutionären Prozesses absolut notwendig ist.

Die Revolution muss sich verteidigen können.
Ohne die Aufstellung der Arbeiter:innenmilizen und ihre Zusammenfassung zur Roten Ruhrarmee hätte die herrschende Klasse ihre alte Ordnung binnen Tagen wieder erlangen können. Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Es gibt keine Revolution ohne die bewaffnete Macht, die sie verteidigen kann.

Die Umgestaltung des gesellschaftlichen Lebens muss sofort beginnen.
Einige Teile der Arbeiter:innenbewegung wollten lediglich den Putsch abwehren, die bürgerliche Demokratie verteidigen und ein paar mehr Rechte für die Arbeiter:innen erkämpfen. Andere traten zwar prinzipiell für die Diktatur des Proletariats ein, glaubten aber, dass erst einmal die militärische Verteidung im Vordergrund stehen sollte. Eine grundsätzliche Umgestaltung der Gesellschaft sollte danach beginnen. Dagegen traten die radikalsten Teile der Bewegung, insbesondere die Syndikalist:innen der Freien Arbeiter Union Deutschlands dafür ein, möglichst sofort mit der Sozialisierung der Betriebe und der Umgestaltung aller gesellschaftlichen Prozesse zu beginnen. Dieser Konflikt trat auch in anderen Erhebungen wie der Spanischen Revolution 1936 wieder zu Tage. Obwohl wir klar für eine Verteidigung der ersten Errungenschaften einer Erhebung eintreten, vertreten wir hier klar die Position, dass die soziale Revolution sich nicht auf ihrer militärischen Verteidigung „ausruhen“ kann. Sie muss immer möglichst sofort so umfassend wie möglich umgesetzt werden. Nicht nur um die Macht der Kapitalist:innen und des alten Staatsapparates wirklich zu brechen, sondern auch weil eine tatsächliche Umgestaltung den Menschen vor Augen führt, wofür sie kämpfen und so motivierend wirkt. Dagegen stärkt die Zurückhaltung der Revolution nur die Frustration und die Entfremdung der Massen von der Revolution.

Im Kampf für Verbesserungen dürfen wir nicht auf Kompromisse mit den Herrschenden vertrauen.
Wir müssen nicht nur sofort mit der Umgestaltung der Gesellschaft beginnen, sondern sie auch selbstständig bis an ihr Ende führen. Ein schwerer Fehler der Märzrevolution war es, den Lügen der reformistischen Sozialdemokratie zu folgen und sich auf Verhandlungen mit der Regierung über die Umsetzung einiger Minimalforderungen einzulassen. Die Revolutionär:innen hofften angesichts der scheinbaren staatlichen Übermacht, so doch noch einige längerfristige Verbesserungen erzielen zu können. Doch diese Verhandlungen schwächten die Selbstorganisation der Arbeiter:innen. Viele legten in der Hoffnung auf die Verhandlungen ihre Waffen nieder und kehrten nach Hause zurück. Das gab der Regierung genug Zeit, zusätzliche Truppen aus dem Reich zusammenzuziehen. Das Ergebnis der Verhandlungen war eine immens geschwächte Bewegung und leere Kompromisse mit der Regierung, die diese kurze Zeit später brach, als sie die Freikorps ins Revier einmarschieren ließ. Die einzige Hoffnung auf die Durchsetzung unserer Forderungen besteht immer darin, den Kampf selbstbestimmt so weit es geht weiterzutragen, nie aber im Kompromiss mit den Herrschenden. Diese werden jeden Kompromiss sobald sie es können wieder brechen. Das einzige, was Erfolge sichert ist unsere eigene Stärke als Klasse.

Der Staat ist kein Bündnispartner im Kampf gegen den Faschismus.
Die Märzrevolution ist nur eines von vielen Beispielen davon, dass bürgerliche Staaten sich des Faschismus als Herrschaftsoption oder der Faschist:innen als reaktionäre Bluthunde bedienen, um revolutionäre Bewegungen zu stoppen. Mag der Staat sich auch heute noch so gerne als antifaschistisch gerieren: Wenn es hart auf hart kommt, dann wird er es wieder tun. Im antifaschistischen Kampf darf der Staat daher niemals Bündnispartner sein.

Es gibt keine soziale Revolution ohne die Befreiung der Geschlechter.
Die Rolle der Frau in der Märzrevolution ist wie große Teile der Geschichte proletarischer Frauen noch viel zu wenig erforscht. Sie hatten sicherlich einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der alltäglichen Organisierung der sozialen Umwälzung in Betrieb und Nachbarschaft. Aber wie groß diese war, darüber ist kaum etwas bekannt. Wir wissen lediglich, dass sie in den Kampfverbänden genauso wie in den Aktionsausschüssen nur sehr schwach repräsentiert waren. Auf dem Feld waren sie vor allem als Sanitäter:innen unterwegs. Grund dafür waren die auch in der Arbeiter:innenbewegung vorhandenen, traditionellen Rollenbilder der Geschlechter. So wurden Frauen teilweise aktiv aus den Kampfverbänden entfernt. Wie auch in der Spanischen Revolution war das ein schwerer Fehler. Zur notwendigen sozialen Umwälzung muss immer auch die Emanzipation der Geschlechter gehören. Eine Bewegung, die sich nur auf die Männer stützt und die Befreiung der Geschlechter außen vor lässt oder auf einen späteren Tag verschiebt, ist zum Scheitern verurteilt.

Es gibt keine „reinen“ Revolutionen.
Die Märzrevolution mit all ihren Unvollkommenheiten zeigt deutlich, dass revolutionäre Perioden, in denen versucht wird, aktiv die Gesellschaft an ihrer Basis zu verändern, nie frei von Widersprüchen sind. Es gibt keine perfekten, fehlerfreien Revolutionen. Es wird dagegen immer auch rückständige Elemente und innere Konflikte in sozialen Erhebungen geben. Das ist kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen, sich nicht daran zu beteiligen oder sie hinterher zu verdammen. Wir verherrlichen die Revolution nicht und blenden ihre Widerspüche nicht aus. Aber wir gedenken ihr, weil sie ein entscheidender Moment des Klassenkampfs in unserer Region war und weil wir glauben, dass heutige Revolutionär:innen aus der Auseinandersetzung mit ihren Fehlern und Erfolgen viel gewinnen können.

Revolutionen können nur erfolgreich sein, wenn sie sich ausbreiten.
Das zentrale Ziel der zurückgekehrten Regierung war es, das Überspringen des revolutionären Funkens auf andere Regionen des Reiches zu verhindern. Sie befürchteten zurecht, dass mehrere im Aufruhr befindlichen Regionen nicht mehr zu kontrollieren gewesen wären. Doch weil der Funke nicht übersprang, konnten sie die Arbeiter:innen im Revier einkreisen und die Macht der Arbeiterinnen in einer Stadt nach der anderen beseitigen. Auf einzelne Regionen beschränkte Revolutionen sind immer zum Scheitern verurteilt. Die Gegenoffensive der Herrschenden kann nur gestürzt werden durch Rebellionen an vielen Orten, die die Erhebung zu einem unlöschbaren Flächenbrand machen.

Wir brauchen eigene politische anarchistische Organisationen.
Alle Kräfte der Arbeiter:innenbewegung – Sozialdemokratie, Kommunist:innen, Syndikalist:innen – wurden vom Putsch überrascht. Der Generalstreik und die darauf folgende Erhebung war vielerorts in erster Linie eine spontane Bewegung aus der Basis. Zwar gaben die Parteiführungen von SPD, USPD und KPD Vorgaben für das Handeln ihrer Mitglieder, diese wurden aber allzuoft von den Genoss:innen an der Basis nicht befolgt. Die Anarchist:innen und freiheitlichen Kommunist:innen hatten mit der FAUD zwar eine gewerkschaftliche Heimat. Und vor Ort beteiligten sich FAUD-Mitglieder an vielen wichtigen Initiativen. Doch um auf überregionaler Ebene eine gemeinsame Strategie auszuarbeiten und umzusetzen, war die FAUD zu heterogen. Viele Mitglieder waren erst in den Monaten zuvor zur FAUD gestoßen und dann oft nicht als bewusste Anarchist:innen, sondern weil sie sich von ihr mehr versprachen als von den reformistischen Gewerkschaften. Ein anarchistisches Bewusstsein war in der FAUD damit eher schwach ausgeprägt, die Zahl bewusster Anarchist:innen war klein. In dieser Situation wäre eine politische anarchistische Organisation, die die bewussten Anarchist:innen vereint hätte, ein wichtiger Faktor zur Erarbeitung und Umsetzung einer gemeinsamen Strategie gewesen. Auch heute sehen wir die Notwendigkeit einer Organisation, die die Anarchist:innen auf politischer Grundlage eint.

Eine andere Welt ist möglich.
Zu guter Letzt wollen wir noch einmal die vielleicht wichtigste Lehre des März 1920 hervorheben. Die Erhebung hunderttausender Arbeiter:innen zeigt, dass es möglich ist, dieses System zu überwinden. Auch wenn es heute düster aussieht, sollte uns das Kraftund Vertrauen geben, um weiter zu kämpfen für die soziale Revolution und die befreite Gesellschaft.

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